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Die verlorenen Netze

Veröffentlicht am 13.04.2012 von Bernadette GILBERTAS - Ansicht die Kommentare

Am 4 April 2012 wurde Haidar El Ali, unser Ecopartner, vom neugewählten senegalesischen Präsidenten als Minister für Ökologie und Naturschutz nominiert. Herzlichen Glückwunsch !!!

Auszug aus dem Buch « Haidar El Ali, itinéraire d’un écologiste au Sénégal » Bernadette Gilbertas, éditions Terre Vivante

Das Boot schlingert auf den Wellen. Wir sind durchnässt. Dann endlich wird der Anker ausgeworfen. Haidar ist damit beschäftigt, an einem Stein, der an seinem Unterarm befestigt ist, ein Messer zu schleifen. Er richtet sich auf und bringt sich am Bug des Schiffes ins Gleichgewicht. Breitbeinig, mit gespreizten Armen steht er dort und atmet in vollen Zügen die Luft der See ein, die sich vor ihm auftut. Seine Lippen bewegen sich. Was sagt er? Er betet. Er ist andächtig und ergriffen. Nach einigen Minuten kehrt er zu uns zurück, stürzt sich augenblicklich auf seinen dickbauchigen Freund und stößt ihn über Bord.
Verblüffung auf Seiten Daniels und Gelächter bei Haidar. Das Wasser ist sehr kalt und so trüb, dass die Sichtweite eingeschränkt ist. Ich würde dort nicht tauchen. Ich hätte das erforderliche Können nicht. Das Abreißen der alten Netze, die an den Wrackteilen, die auf dem Meeresgrund rund um die Halbinsel Dakars liegen, diese Tätigkeit in dien undurchsichtigen Gewässern, das erfordert ein Tauch-Niveau der Stufe 4.

Um auf den Meeresgrund zu gelangen folgen die beiden Männer der Kette des Ankers, die in diesem - von Algen und Sedimenten getrübten Wasser - die sprichwörtliche Spur der Brotkrumen ist. Nachdem ich Haidar im Film „Demain la mer“ (dt: Morgen das Meer), einem seiner vielen, dem Meer gewidmeten Filme, gesehen hatte, fiel es mir nicht schwer, ihn mir unter Wasser vorzustellen. Unten am Grund lassen sich die schattenhaften Umrisse eines Wracks erkennen. Ein riesiges, an diesem Wrack hängengebliebenes Netz versperrt den Weg für Fische und Algen. Seine Maschen sind seit langem zum tödlichen Gefängnis für unzählige Fische geworden. Und noch immer wird es für viele Fische zum Schauplatz verzweifelter Überlebenskämpfe.
Das Entfernen des Netzes und das Entwirren seiner Maschen ist ein komplexes Unterfangen. Haidar hat sein Messer nicht ohne Grund geschärft. Mit präzisen Handgriffen durchschneidet er das Tau und entwirrt die Maschen. Heute hat er eines der Monofilament-Ntze aus Nylon erwischt – leicht, durchscheinend, fast unsichtbar, so treibt es wie ein Schleier tanzend in der Strömung. Trotz seiner schwerelosen Erscheinung ist ein solches Gewebe ein unverwüstliches, äußerst langlebiges und seit vielen Jahren tödliches Gefängnis. Es ist so billig in der Anschaffung, dass ein Verlust des Netzes ohne weiteres in Kauf genommen wird. Festhängend am felsigen Grund, erfüllt das alte Monofilament seine Funktion ungewollt und unnötigerweise immer weiter. Ausgebreitet über dutzende von Metern wird es zur Falle für verschiedenste Fischarten, die durch ihren Tod die wartenden Aasfresser anziehen, denen die Maschen dann ebenso zum Verhängnis werden. So wird aus einem einfachen Fischernetz eine Kette des Todes. Dadurch, dass ein solches Netz auch die auf dem Meeresgrund lebenden Organismen – wie z.B. Gorgonien (eine Korallenart) - tötet, kann ein einziges dieser Netze ein ganzes Ökosystem zerstören. Dieses tödliche Utensil ist seit 1998 gesetzlich verboten. In diesem Jahr wurde nach senegalesischem Gesetz auch die Verwendung von Fischernetzen mit Maschen, die kleiner als 24 Millimeter sind, verboten. Aber es hat sich nichts geändert.

Wenn er das Netz entfernt hat, muss Haidar es an weißen Kanistern befestigen. Diese erfüllen die Funktion von Fallschirmen, die, wenn sie an die Oberfläche steigen, das endlose Nylongewirr, Schalentiere sowie die angestauten Algen, mit sich an die Oberfläche ziehen. Das Kielwasser ist trüb und dunkel. Christophe Rouvière, Régis Losthe und viele andere Tauchkumpanen von Haidar haben meine eigenen Vermutungen bestätigt: Das heraufziehen der verlorenen Netze ist schwierig und mit erheblichen Risiken verbunden. Durch die Spannung, die auf ihm liegt, kann das Netz jederzeit reißen und dabei einen der Taucher treffen und unter sich begraben. Unser Boot ist abgetrieben. Wir haben uns von den Tauchern entfernt, deren Spur aus Luftblasen, die sie hinterlassen, wir noch immer beobachten.

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